Zwischen Regenwurm und Gummiband – Wenn der Hunger der Störche zur tödlichen Gefahr wird

Der Weißstorch ist nicht nur ein Symbol für Fruchtbarkeit und Glück, sondern auch ein faszinierender Vogel mit bemerkenswertem Verhalten. Besonders während der Brutzeit sind Störche wahre Meister der Nahrungssuche. Mit ihren langen Beinen durchstreifen sie feuchte Wiesen, Äcker, flache Gräben und – immer häufiger – menschliche Siedlungsbereiche auf der Suche nach Nahrung. Dabei stehen Würmer, Insekten, Amphibien, kleine Säuger und hin und wieder auch Aas auf dem Speiseplan.

Kaira am Komposthauffen. Ohne Scherben & Gummis

Doch in Zeiten zunehmender Umweltveränderungen und wachsender Siedlungsflächen müssen sich die Tiere anpassen. So zieht es viele Störche regelmäßig auf Kompostieranlagen, Grünmülldeponien oder sogar in private Gärten – Orte, an denen vermeintlich lohnensreiche Nahrung zu finden ist. Und genau hier beginnt das Problem.

🧅 Gummibänder und Scherben im Kompost

Zwischen Gemüseschalen und Rasenschnitt landen immer wieder unsichtbare Gefahren im Kompost: Keramikscherben, Plastiksplitter und – besonders fatal – Gummibänder. Diese sind oft kaum zu erkennen, haften aber zuverlässig an Frühlingszwiebeln, Radieschenbunden oder Spargelstangen. Werden sie mitsamt dem Biomüll entsorgt, landen sie über kurz oder lang im offenen Kompost – und damit im Sichtfeld der Störche.

Gummibänder an Radiesschen (Foto:Petra M.)

Für das geschulte Storchenauge sehen diese dünnen, elastischen Ringe erschreckend ähnlich aus wie Regenwürmer. Die Vögel picken sie auf – entweder für sich selbst oder um sie an ihre Jungen zu verfüttern. Was gut gemeinte Resteverwertung in der Küche war, endet für viele Störche tödlich.

Gummis an Frühlingszwiebeln. (Foto: Petra M.)

🐣 Die Zeit der Jungenaufzucht – ein Wettlauf mit der Natur

Sobald ein Storchenpaar ein Nest bezogen und Eier gelegt hat, beginnt die aufwändige Phase der Jungenaufzucht. Die Küken werden von beiden Eltern versorgt. Die Nahrungsmenge muss stimmen – denn die Küken wachsen rasant, legen täglich an Gewicht zu und brauchen viel Eiweiß und Flüssigkeit.

Doch wenn statt Regenwürmern und Heuschrecken plötzlich Gummibänder im Schnabel landen, bringt das fatale Konsequenzen: Die elastischen Ringe landen direkt im Kropf der Jungtiere – einem muskulösen Vormagen, der eigentlich als Speicher für Nahrung dient. Von dort aus gelangt das Material weiter in den Magen (Gizzard), wo normalerweise harte Bestandteile wie Käferpanzer zermahlen werden. Doch Gummi zersetzt sich nicht. Stattdessen verheddert sich das Material, bildet Knäuel, blockiert den Verdauungsweg – und führt zu einem dramatischen Teufelskreis. Gummi besteht aus chemischen Stoffen, die durch die aggressive Magensäure zwar angegriffen, aber nicht vollständig zersetzt werden. Dabei werden giftige Substanzen freigesetzt, die die Magenschleimhaut und die Magenwände stark schädigen. Selbst wenn eine Operation möglich wäre, ist der Magen oft bereits so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass sich das Tier davon nicht mehr erholen kann.

⚠️ Wenn Gummi das Leben erstickt

Ein Gummiband im Magen gaukelt dem Tier Sättigung vor. Das Küken frisst weniger – nimmt aber keine Nährstoffe auf. Optisch nimmt der Storch aber nicht auf den ersten Blick ab. Oft sehen Beobachter noch ein „gefülltes“ Jungtier im Nest liegen – ohne zu ahnen, dass sein Verdauungssystem längst versagt hat. Sie verhungern also mit vollem Magen. Ein schrecklicher Gedanke. Und unglaublich traurig für jedes einzelne Tier.

In besonders tragischen Fällen kommt es zu inneren Verletzungen, Infektionen oder dem völligen Zusammenbruch der Verdauung. Tierärzte,aber auch am Storchenhof Loburg, berichten regelmäßig von Notfällen. Immer wieder werden junge Störche eingeliefert, die Gummiringe, Plastikreste oder Keramiksplitter verschluckt haben. Nicht selten bleibt nur das Einschläfern – ein letzter Akt des Mitleids, wenn alle medizinische Hilfe zu spät kommt.

📚 Zahlreiche Berichte – wenig Hoffnung bei Spätentdeckung

In Loburg, aber auch in anderen Pflege- und Beobachtungsstationen in Deutschland und Österreich, häufen sich die Fälle. Immer wieder werden Störche mit nicht verwertbarem Fremdmaterial gefunden – darunter Jungvögel, die innerhalb weniger Tage versterben. Nicht jede Station veröffentlicht offizielle Fallberichte, doch die Erfahrungsberichte aus dem Netzwerk der Storchenpflegestationen lassen keinen Zweifel: Das Problem ist real, flächendeckend und menschengemacht. Netzwerk Weissstorch hat einen sehr informativen, aber auch erschreckend realistischen Flyer erstellt um auf dieses Problem aufmerksam zu machen.

Copyright: Netzwerk Weissstorch
Copyright: Netzwerk Weissstorch

Ihr wollt helfen? Mitmenschen sensibilisieren? Dann könnt ihr den Flyer hier runterladen:

🙋‍♀️ Was wir tun können – Jeder Schritt zählt

Die Lösung beginnt im Alltag. Jeder von uns kann dazu beitragen, das Risiko für die Störche zu senken:

  • Gummibänder entfernen: Vor dem Entsorgen von Frühlingszwiebeln, Radieschen oder Schnittlauch unbedingt die Gummibänder abnehmen und separat im Restmüll entsorgen.
  • Kein Plastik oder Keramik in den Kompost: Auch kleine Splitter oder Drahtklammern gehören nicht in die Biotonne.
  • Kinder sensibilisieren: In Kitas, Schulen und Familien kann über die Gefahren aufgeklärt werden – der Storch ist ein wunderbarer Botschafter für Umweltbildung.
  • Kompostplätze beobachten: In der Gemeinde, im Garten oder auf öffentlichen Grünflächen – offene Komposthaufen sollten regelmäßig kontrolliert und ggf. gesichert werden.
  • Meldung machen: Wer einen Storch mit auffälligem Verhalten beobachtet, sollte lokale Tierschutzstationen oder Wildvogelauffangstellen informieren.

💚 Fazit

Der Weißstorch ist ein anpassungsfähiger, aber verletzlicher Teil unseres Ökosystems. Gerade weil wir ihn so schätzen und bewundern, sollten wir auch Verantwortung für ihn übernehmen. Ein einzelnes Gummiband mag unscheinbar wirken – doch im falschen Moment kann es Leben kosten. Indem wir achtsam mit unserem Müll umgehen, können wir helfen, die nächste Storchen-Generation zu schützen. Und das ist ein kleiner, aber bedeutender Beitrag für den Naturschutz.

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